Über den HAM-Nat und seine genauen Inhalte ist weiterhin nicht viel bekannt. Ich habe mit verschiedenen MedizinStudentInnen an der Charité in Berlin gesprochen, um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Als ich den Campus Charité Mitte nicht weit vom Hauptbahnhof betrete, scheint die Sonne und ich nehme mir ein bisschen Zeit, die Gebäude zu begutachten, die größtenteils aus dem 18. Jahrhundert stammen. Besonders viel ist nicht los, da es ein sehr kalter Novembertag ist und nur wenige Studierende auf den Bänken oder auf dem Rasen sitzen.
Ich treffe jedoch Max und Annika, die zum Sommersemester an der Charité ihr Medizin-Studium begonnen haben, und komme mit Ihnen ins Gespräch. Max erwähnt, dass er über den HAM-Nat an seinen Studienplatz im vergangenen Sommersemester gekommen ist, Annika musste gut sieben Jahre warten, da sie damals trotz TMS nicht angenommen wurde. Mit einem Schnitt von 1,1 hatte Max im Vergleich zu Annika (1,7) eine gute Ausgangposition und so reichten ihm unter 50 Prozent beim HAM-Nat, um in Berlin studieren zu dürfen.
Schwierigkeiten bei Physik-Fragestellungen
Max‘ Schwierigkeiten beim HAM-Nat lagen vor allem in der Physik – wie ich im Laufe des Tages noch häufiger hören würde: „Ich habe Physik überhaupt nicht gelernt und dann wurde zum Beispiel gefragt, wie groß der Druck der Reifen eines LKWs seien, wenn der LKW X Kilo wiegt.“ Generell seien alle Fragen des HAM-Nat sehr ins Detail gegangen. „Ich hatte schon einen Flug gebucht, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass es klappen würde,“ wirft Max in dem Zusammenhang ein und auch Annika bestätigt, dass die Fragestellungen im HAM-Nat definitiv über Schulniveau seien.
Ich lasse die beiden wieder in Ruhe Röntgenstrahlen und Nervenleitungsgeschwindigkeiten für die nächste Vorlesung vorbereiten und treffe nach ein paar Minuten Sophie und Patrick. Auch hier hat Patrick die Wartesemester in Kauf genommen und Sophie Ihre Zulassung über den HAM-Nat erhalten. Sophie erzählt, dass sie den Test das erste Mal direkt nach dem Abi geschrieben hat, „um zu schauen, wie es so ist, weil man ihn mehrmals schreiben darf.“ Wie damals erwartet, hat es nicht auf Anhieb geklappt und so hat sie mit ihrem 1,2er-Abitur im Frühjahr 2017 einen Vorbereitungskurs besucht. Im zweiten Anlauf hat es dann auch zum Sommersemester geklappt: „Es ist gut, dass ich die Generalprobe hatte. Die Aufregung ist dann nicht mehr so groß.“
Auch Sophie erinnert sich daran, dass die Fragestellungen einen starken Physik-Schwerpunkt hatten. „Da war das Meinungsbild sehr klar nach dem Test,“ sagt sie lachend und weist darauf hin, dass die wenigsten Mediziner Physik im Leistungskurs belegen. Letztlich habe der HAM-Nat sehr wenig mit ihrem aktuellen Studium zu tun haben: „Ich würde mir wünschen, dass die Fragestellungen medizinischer sind. Für das Studium hat der Test mir überhaupt nichts gebracht.“
Wie Max, ist auch Sophie im Kopf geblieben, wie sehr manche Fragen ins Detail gingen: „Einmal sollten wir die lateinischen Begriffe der Anatomie des Herzens kennen. Das kann niemand vom Abitur wissen.“ Außerdem lohne es sich Formeln auswendig zu lernen: „Es sind nicht nur Wissensfragen, man muss auch super viel im Kopf rechnen.“ Kurz bevor ich weiterziehe, empfiehlt Sophie noch, sich über Facebook-Gruppen zu informieren und Max‘ simpler Tipp ist es, nicht – wie er – einen Abi-Schnitt von 2,1 zu haben.
In die Breite lernen
Als Nächstes begegne ich Jonathan, Max und Franzi. Max ist mit einem Schnitt von 1,5 zum HAM-Nat angetreten und gemeinsam mit den anderen zum Sommersemester zugelassen worden. „Ja, es war knapp bei mir,“ sagt Max schmunzelnd, als Jonathan und Franzi erwähnen, dass sie ihr Abitur mit 1,3 und 1,0 gemacht haben. Max hat sich in erster Linie über diverse Websites informiert und ist dadurch auf ein Ergebnis von 60 Prozent gekommen.
Franzi fällt ein, dass eine Fragestellung im Bereich der Populationsgenetik vorausgesetzt hat, dass man bei Wachstumsdiagrammen den natürlichen Logarithmus von 2 und 3 bzw. den dekadischen Logarithmus von 3 und 4 im Kopf hat. „Die erwarten auch, dass man alle physikalischen und grundsätzlich statistischen Formeln auswendig kann,“ ergänzt Max und verdreht die Augen. „Formeln lernen lohnt sich,“ fährt er fort, „Viele Aufgaben sind ganz stupide: Wenn du die Formel weißt, musst du einfach nur einsetzen, was in der Aufgabe gegeben ist.“ Sich die Formeln wie in der Schule schnell herzuleiten, funktioniere aufgrund der knappen Zeit nicht, findet auch Franzi.
Auch Glück und breites Lernen spielen jedoch eine Rolle, sagt Max: „Ich habe mich einen Monat vorher mit meinem Bruder unterhalten, der Medizin studiert. Wir haben zufällig über Prionen gesprochen und glücklicherweise wurde im Test danach gefragt, woraus diese besteht. Aus dem Grund konnte ich dann schnell Proteine antworten. Deshalb sollte man sich nicht nur das grundlegende Wissenschaftliche anschauen, sondern darüber hinaus auch das eigene medizinische Allgemeinwissen verbessern.“
Von nun an begegne ich nur noch Erstsemestern, die auf dem Weg zu einer Vorlesung zum Thema Praktika sind. Ada erzählt mir auf dem Weg zum Hörsaal, dass sie aus Polen kommt und ihr größtes Problem die Sprache war: „Ich hatte einen Schnitt von umgerechnet 1,1 und der HAM-Nat ist auf dem Niveau des polnischen Abis oder vielleicht sogar leichter. Ich habe Bio und Chemie gelernt, aber nicht so viel Physik. Physik war leider die Hälfte der Fragen, aber ich habe es trotzdem geschafft, weil ich nur 30 bis 40 Prozent erreichen musste.“
Sie erinnert sich auch an eine Frage: „Es wurde gefragt, wie sich Mitochondrien vererben. Die Antwort war, dass Menschen alle Mitochondrien von der Mutter und nicht vom Vater bekommen. Das war eine leichte Frage.“
Ursa erzählt mir kurz danach, dass sie 70% ohne Vorbereitung erreicht habe. In der Schule hat sie einen Bio- und einen Chemie-Leistungskurs belegt. Physik hatte sie in der Oberstufe abgewählt, aber es hat dennoch gut funktioniert.
Noch leichter war es für Luka, den ich in den letzten Minuten vor der Vorlesung treffe: Er ist an diesem Tag der Einzige, den ich treffe, der direkt über seine Abiturnote zum Studium zugelassen wurde. Nicht ganz so einfach war es für seinen Freund Luka, der am HAM-Nat teilnehmen musste und ihn „extrem schwer“ fand. Er hat einen Vorbereitungskurs besucht und empfiehlt außerdem, Biologie und Chemie als Leistungskurse zu belegen. Auch er hatte zwei Jahre lang kein Physik und hatte Kopfrechnen nicht genug geübt: „Das ganze Umrechnen hindert einen daran, dass man Punkte kriegen kann, obwohl man eigentlich alles weiß. Konzentrationen umrechnen konnte ich am wenigsten und es kam am häufigsten vor. Deshalb sollte man unbedingt Kopfrechnen üben. Es gibt ganz viele Berliner Schulen, die programmierfähige Taschenrechner benutzen – das ist das Dümmste, was man machen kann.“
Anschließend beginnt die Vorlesung der Erstsemester und ich beeile mich nach Hause zu kommen, da die Sonne nicht mehr scheint und es in der Zwischenzeit nicht wärmer geworden war. Zusammenfassend hat sich herausgestellt, dass auch du dich gründlich auf sämtliche Formeln vorbereiten solltest und das Kopfrechnen gut üben musst. Zusätzlich zu allen anderen Inhalten des HAM-Nat lohnt es sich deshalb auf jeden Fall, ungefähr ein halbes Jahr vorher mit der Vorbereitung zu beginnen.